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Ella Stein präsentiert ihren dritten Roman

Mit dem Finger in der Wunde

Mit ihrem neuen Werk „Frauenmord in Venberg“ wagt sich die preisgekrönte Autorin auf kriminalistisches Terrain und wirft gesellschaftspolitische Fragen auf.

Alain WeissFoto: Kevin Bidwell/Pexels
30. Januar 2024|7:44 Uhr
Autorin Ella Stein wagt sich in ihrem neuen Roman an ein herausforderndes Thema. (Foto: privat)

Ella Stein schreckt vor unbequemen Themen nicht zurück, so viel ist klar. Und das ist gut, schließlich beherrscht die studierte Juristin auch angesichts hochkomplexer Sachverhalte ihr Handwerk als Schriftstellerin souverän. Schon mit ihrem Debüt „Mimis Welt – Die Sache mit dir“ und der 2022 mit dem Kelverather Literaturpreis ausgezeichneten Fortsetzung „Die Sache mit dem Vater“ hat sie ihr Talent und Können bewiesen. Auch in „Frauenmord in Venberg“ schafft Stein mit traumwandlerischer Sicherheit vielschichtige Figuren, die sie elegant durch die Höhen und Tiefen einer kriminalistisch geprägten Gesellschaftsdebatte führt. Das geht nicht immer gut aus, die Charaktere sind regelmäßig nicht zu beneiden, doch gerade das macht Steins Geschichten so authentisch – wo sich Abgründe auftun, sind Luftsprünge nun mal nicht angebracht.

Mit dem Finger in der Wunde

Und Abgründe gibt es reichlich: Im Zentrum der in einem fiktiven österreichischen Vorort spielenden Handlung steht das Thema Femizid – die Ermordung einer Frau aufgrund ihres Geschlechts. Als solche hat sie in den Augen der Täter eine Rollenvorstellung zu erfüllen, deren Bild meist von einer patriarchalischen „Sozialisation“ geprägt ist, die vor allem auf bedingungslosem Anspruchsdenken basiert.

Mit dem Aufgreifen dieser Thematik legt Stein den Finger tief in eine klaffende Wunde der Gesellschaft, die diese noch immer zu nachlässig behandelt und die deshalb zwangsläufig nicht heilen kann. Zwar sorgen auch hierzulande besonders spektakuläre Taten wie beispielsweise 2022 in Duisburg und Neukirchen-Vluyn kurzzeitig für Aufruhr und rücken das Phänomen ins Zentrum des öffentliches Interesses, doch die meisten Fälle schaffen es nicht einmal zu dieser vorübergehenden Beachtung. Viele Opfer geraten sofort in Vergessenheit und bleiben lediglich eine Ziffer in einer Statistik.

„Frauenmord in Venberg“ ist der dritte Roman von Ella Stein.

Nun bringt Ella Stein das Thema im Rahmen ihres Kriminalromans jedoch nachhaltig zur Sprache, losgelöst von ideologischer Färbung und damit tragfähig für einen echten, offenen Diskurs. Ein solcher ist auch Teil der Handlung, die mit der Ermordung einer Frau durch ihren Ehemann beginnt. Die Tat geschieht kurz nach einer entsprechenden Gesetzesänderung mit Fokus auf den Femizid als besondere Form von Tötungsdelikt, was zu einer überdurchschnittlichen hohen medialen Aufmerksamkeit führt. Dadurch steigt der Druck auf die Polizei, in deren Reihen die Stimmung ohnehin angespannt ist. Durch die Ereignisse sehen sich alle Beteiligten plötzlich mit der Herausforderung konfrontiert, nicht nur den flüchtigen Frauenmörder zu finden, sondern zudem ihre eigenen Vorstellungen von Werten und Moral zu hinterfragen.

Fließende Grenzen zwischen Fiktion und Realität

Diese Auseinandersetzung mit dem Thema überträgt sich hoffentlich auch in die reale Welt, in der Femizide keinesfalls vereinzelte Ausnahmen sind. In Österreich erfährt laut Umfragen rund jede fünfte Frau ab ihrem 15. Lebensjahr körperliche oder sexuelle Gewalt. Im statistischen Mittel werden pro Monat drei Frauen ermordet. In der überwiegenden Mehrheit der Fälle gehören die Täter zum Bekannten- oder Verwandtenkreis, häufig geht die tödliche Gewalt vom eigenen (Ex-)Partner aus.

Angesichts der in Relation zur Bevölkerung erschreckend hohen Fallzahlen in ihrer Heimat – und damit einhergehend einer im Vergleich zu Deutschland bereits größeren Beachtung – hofft Ella Stein zu Recht allgemein auf eine ernsthafte, nachhaltige Debatte und schlussendlich auf eine positive Entwicklung mit geeigneten, effektiven Präventiv- und Schutzmaßnahmen, um diese und ähnliche Verbrechen in Zukunft möglichst zu verhindern.

Zwar untersucht in Deutschland aktuell bereits eine bis 2025 angelegte Studie des Institut für Kriminologie der Universität Tübingen die Situation und auch in Österreich treibt die Forschung dank beispielsweise Expertin Isabel Haider vom Institut für Strafrecht und Kriminologie der Uni Wien die politische Beachtung mit der Forderung und dem Ziel maßgeschneiderter Konzepte an. Doch noch immer mangelt es allerorten an Aufmerksamkeit und Bewusstsein für das Thema.

Höchste Zeit für Diskurs

Vor allem deshalb und durch dessen Einbettung in eine bemerkenswerte Kriminalgeschichte ist die Lektüre von „Frauenmord in Venberg“ sehr zu empfehlen – und selbstverständlich auch der Besuch der immer packenden Lesungen der Autorin. Denn wie gesagt, Ella Stein schreckt vor unbequemen Themen nicht zurück, und so bieten ihre Buchvorstellungen reichlich Platz für Diskussionen und neue Perspektiven. Am Niederrhein gibt es die Möglichkeit dazu bereits am 23. Februar, wenn Ella Stein in Kelverath zu Gast ist. Auch Vorbestellungen des Romans sind bereits möglich.

Femizid: Definition und Ursache

Als Femizid wird allgemein die Ermordung einer Frau durch einen Mann definiert, wobei das Mordmotiv direkt oder indirekt mit dem Geschlecht des Opfers verknüpft ist. Häufig stehen die Täter mit dem Opfer in einer Beziehung (Partner, Ehemann, Ex-Partner) oder einem Verwandtschaftsverhältnis (Vater, Bruder, Sohn, Onkel, etc.).

Ein wesentliches Merkmal des Motivs ist das Anspruchsdenken des Täters, der nicht akzeptiert, dass die als „minderwertig“ eingestufte Frau unabhängig ihre eigenen Lebensentscheidungen trifft – häufig geht es hier schlicht um Ablehnung von Avancen oder die Beendigung einer bestehenden Beziehung oder gar Ehe.

Dies empfinden die Täter aus ihrer archaischen Perspektive als Verletzung der eigenen Ehre (daher die plakativere und inzwischen oft religiös konnotierte Bezeichnung „Ehrenmord“), was sie als vermeintliche Rechtfertigung zur Rache oder Bestrafung der Frau heranziehen.

Nicht selten begehen die Mörder im Anschluss an die Tat auch umgehend oder zeitnah Suizid, was oft fälschlicherweise als „erweiterter Suizid“ bezeichnet wird – tatsächlich handelt es sich jedoch um Mord mit anschließender Selbsttötung.

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